Das Ohr am Beat der Welt
Heimat ist überall: Das World-Music-Festival im Haus der Kulturen der Welt
Berlin - Wer bisher dachte, "Bantu" bezeichne eine afrikanische Sprachfamilie, darf sich die Augen reiben. Denn für das deutsch-nigerianische Quartett Bantu versteckt sich hinter den fünf Buchstaben ein ganzes Programm: "Brotherhood Alliance Navigating Towards Unity". Einigkeit auf dem Weg zur Einheit! Die vier Euroafrikaner aus Köln rühren Afrobeat, Highlife, Reggae und Kölsch-Rap zu einem musikalischen Eintopf an, den sie "Fufu" nennen - ein afrikanisches Grundnahrungsmittel. Und die verschiedensten Wege führen zur Einheit: Bantu konnte bereits zwei Top-Ten-Hits in Nigeria verbuchen und traten in der "Lindenstraße" auf.
Nouri Ben Redjeb, der künstlerische Leiter von "Rock the Integration", hat die Band deshalb auf das mit "World Music made in Germany" untertitelte Festival eingeladen. Weltmusik? "Es gab Zeiten", sagt Redjeb, "da konntest du auf Partys gehen und passend zum Nudelsalat kam eine Fata Morgana aus der Musikkonserve. Das waren die Dissidenten auf Kassette, der gemeinsame Nenner, auf den sich Ali und Aischa mit Karl-Heinz und Heidi einigen konnten. Damals brachte man die verschiedensten musikalischen Stile zusammen, ohne den Begriff Weltmusik zu verwenden."
Schon vor 30 Jahren hatte der "Krautrock" mit der Erkundung fremder Klänge begonnen. Und Gruppen wie Guru Guru, Embryo oder - in der DDR - Yatra Medita blickten sehnsüchtig nach Indien. Nicht zufällig steht das indische Wort "Yatra" für Reise, Pilgerfahrt, Zusammentreffen. Auslöser für diese deutsche Variante "progressiver" Musik war auch die Zusammenarbeit zwischen den Beatles und Ravi Shankar gewesen. Doch mit dem bloßen Klangreiz von Sitar und Tablas gab man sich nicht zufrieden.
Die Dissidenten - eine Abspaltung der Band Embryo - zog es für ein ganzes Jahr auf den indischen Subkontinent. Ihr erstes Album "Germanistan" ist 1980 im Palast des Maharadscha Bhalkrishna Bharti entstanden, unter Mitwirkung des Saxofonisten Charlie Mariano sowie des berühmten Karnataka College of Percussion.
"Diese erste Generation", so Nouri Ben Redjeb, "war noch ambitioniert. Ihr Ashram lag mitten auf der Bühne." Allerdings haben sich weder Embryo noch die Dissidenten auf Asien beschränkt. Der bunte Hippie-Bus von Embryo fuhr bis an den Rand der Sahara, um bodenständige Instrumentalisten zu gemeinsamen Sessions aufzuladen. Und der amerikanische Schriftsteller Paul Bowles vermittelte den Dissidenten den Sultanspalast von Tanger, wo sie ihr zweites Album "Sahara Elektrik" produzierten.
Entdeckungsreisen dieser Art haben schließlich nicht nur imaginäre Folklore hervorgebracht, sondern auch Musiker vorgestellt, die dem traditionellen, meist lokalen Rahmen ihrer Kultur noch eng verbunden waren. Zwei dieser Musiker, der Marokkaner El Houssaine Kili und der Algerier Hamid Baroudi, leben seit Jahren in Deutschland, wo sie auf der Basis von Gnawa und Rai inzwischen eigenen Popprojekten nachgehen. Für Nouri Ben Redjeb bilden sie die zweite, eingewanderte Generation der deutschen Weltmusik. Auf dem Festival werden beide Jahrgänge zu sehen sein, jeweils heute und morgen.
Am Sonntag präsentieren sich dann die Vertreter des weltmusikalischen Nachwuchses. Sie müssen keine Globetrotter mehr sein, um auf exotische Klänge zu stoßen; kulturelle Abwechslung gibt es längst daheim. Die 17 Hippies aus Berlin zum Beispiel umrunden die Erdkugel lieber in 80 Stilen als in 80 Tagen. So hat das quirlige Salonorchester, wie sich die Hippies selbst nennen, im Oktober 1997 den Weltrekord für die meisten Auftritte innerhalb von 24 Stunden gebrochen - möglich ist das nur in einer einzigen Stadt. Dafür reicht das instrumentale Repertoire von polnischen Walzern, bulgarischen Oros und schottischen Sumpftiraden bis hin zu texanischen Twosteps oder italienischer Filmmusik. Obwohl solche kulturelle Vielfalt in Deutschland mittlerweile selbstverständlich scheint, besitzt sie jedoch kaum Tradition.
Selbst als die Dissidenten mit "Fata Morgana" in Südeuropa einen Superhit landeten und dort bei ihren Konzerten die Fußballstadien füllten, wurde die Band zu Hause bestenfalls als Geheimtipp gehandelt. Immerhin zählen die Dissidenten zu den deutschen Exportschlagern der Musikindustrie. Und fallen damit unter die marktkonforme Bezeichnung "Weltmusik". "I hate World Music!", hat Ex-Talking-Head David Byrne unlängst in der "New York Times" verkündet. Sein Statement richtet sich gegen einen Pauschalbegriff für all das, was nicht unter die Sparte "westlich-angelsächsischer Pop" fällt. Nouri Ben Redjeb versteht sein Weltmusik-Festival allerdings eher als "Kunst für unsere Obdachlosigkeit".
Die Integration in der Musik schreitet sowieso fort. Warum also "Rock the Integration"? Um der Ghettoisierung entgegenzuwirken, die es vereinzelt noch gibt. Um junge Türken zu fördern, die sich - wie im Fall des süddeutschen Ensembles Fis Füz - nicht dem Hip-Hop verschrieben haben, sondern klassische türkische und arabische Musik zusammen mit deutschen Kollegen arrangieren. Oder um dem libanesischen Oud-Virtuosen Tarik Bitar mit seiner Gruppe eine größere Bühne zu bieten. In Berlin hat Bitar seine orientalische Tanzmusik bislang nur auf Hochzeiten oder in einschlägigen Lokalen gespielt. "Westlicher Pop", schreibt David Byrne, "ist Fast Food; es gibt weit aufregendere, kreativere Musik außerhalb dieser Tradition als in ihr." Festival-Leiter und Radio-Multikulti-Mitarbeiter Nouri Ben Redjeb hat das etwas anders formuliert: "Der Unterschied zwischen Currywurst und Merguez, der nordafrikanischen Lammwurst, ist zu einer kleinen Nuance geworden." Wenn das keinen Appetit weckt!
Bis 11. Juni im Haus der Kulturen der Welt, jeweils um 20 Uhr
Artikel erschienen am 10.06.2000
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